Dienstag, 28. Mai 2013

Freier Fall

Der das diesjährige Programm der Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale eröffnende Film Freier Fall (2012) von Stephan Lacant präsentierte sich Thomas und mir auf der Premieren-Vostellung am vergangenen Mittwoch. Zusammen mit Cast und Crew sowie einem ausverkauften Kinosaal erlebten wir 100 Minuten Charakterkino abseits des Mainstreams.

Das Liebe mitunter seltsame Wege geht, wissen wir ja bereits. Sie überschreitet nicht nur Ländergrenzen und Kontinente oder findet ihren Platz zwischen rivalisierenden Gruppen oder sich befehdenden Ethnien; manchmal erblüht sie sogar zwischen Menschen, die das niemals für möglich gehalten hätten. Im Falle von Freier Fall trifft es den Polizisten Marc (Hanno Koffler) unversehens wie ein Blitzschlag, der sich eigentlich in seinem (kleinbürgerlich-spießigen) Leben bestens eingerichtet hatte: Er hat einen sicheren Job; mit seiner Frau Bettina (Katharina Schüttler) läuft es gut; die beiden erwarten Nachwuchs und sind gerade in eine geräumige Doppelhaushälfte gezogen. Die liegt zwar in direkter Nachbarschaft von Marcs Eltern, was dem Paar eigentlich etwas zu viel der Nähe ist, aber man arrangiert sich halt irgendwie.


Bei einer Fortbildung trifft er auf den Kollegen Kay (Max Riemelt). Der nimmt es mit dem Diensteifer viel weniger genau als der äußerst beflissene Marc. Es dauert nicht lang, und zwischen den beiden kracht's. Nachdem sich die Sturmfront aber etwas gelegt hat, schließen sie bei einem Joint wieder Frieden. Aus der Rivalität wird in der Folge sogar eine freundschaftliche Kumpanei. Eines Tages, während des gemeinsamen Lauftrainings, blödeln die beiden herum, bis sie in einer intimen Situation landen. Leidenschaft lodert auf; es kommt zu hartem schnellem Sex. Danach ist nichts mehr wie zuvor. Marc will das alles nicht wahrhaben, möchte es am liebsten ungeschehen machen, doch in der Folge passiert es wieder und wieder. Und bald schon geht es um wesentlich mehr, als um die bloße Befriedigung körperlicher Gelüste.


In der heutigen Zeit ist Homosexualität in den liberalen westlichen Staaten längst kein Tabu mehr. Diskriminierung gibt es indes immer noch, und nicht jedes Land hat sich bislang zu einer vollen gesetzlichen Gleichstellung alternativer Lebensmodelle durchgerungen. Verstecken muss sich aber grundsätzlich keiner mehr - oder? Gerade in Gruppierungen, in denen der Mythos der Männlichkeit einen geradezu ikonischen Stellenwert genießt, ist es für Schwule nahezu unmöglich, sich offen zu ihrem Lebensstil zu bekennen. Bis heute sagen beispielsweise die meisten Fußballtrainer einvernehmlich, dass sie prinzipiell keinem Spieler zu einem Coming-out raten würden. Besser sieht es auch in der Bundeswehr nicht aus; und die Arbeit im Staatsdienst als Polizist ist für homosexuelle Männer sicherlich alles andere als unproblematisch.

Regisseur Stephan Lacan pickt sich in Freier Fall exemplarisch eben diesen Polizeidienst als Beispiel für in sich geschlossene Männerbünde aus, in denen sich die Herren zwar überaus nahe stehen, gerade dieses Übermaß an Nähe aber beinahe schon zwangsläufig eine homophobe Atmosphäre begünstigt. Alles andere als beispielhaft ist im Vergleich dazu die Geschichte von Marc. Der Protagonist ist kein unterdrückter "Pseudo-Hetero", der in seinem Dasein unglücklich wäre. Etwas spießig und kleinbürgerlich sicherlich, aber keiner, der seine wahre sexuelle Identität bislang verstecken musste und dabei Männern klammheimlich hinterherschaute. Zumindest liefert der Film dafür keine Anhaltspunkte. Als es dann zu der Liaison mit Kay kommt, wird nicht nur Marcs wohlgeordnetes Leben auf den Kopf gestellt. Er ist sogar gezwungen, alles, was er für richtig und wahr ansah, zu hinterfragen.

Hanno Koffler

Inwiefern die Unvorhersehbarkeit und Heftigkeit, mit der dieses Ereignis im Film eintritt, glaubhaft erscheinen kann, wird jeder für sich selbst entscheiden müssen. Wobei es sich als nicht ganz unproblematisch erweisen könnte, nachzuvollziehen, dass jemand, der sein Leben lang nie solch eine Neigung verspürte, davon plötzlich in diesem Maß überrumpelt wird. Unplausibel ist hingegen auf keinen Fall die Leichtigkeit des Zusammenseins, die Marc in diesem "Freundschaft-Plus-Arrangement" erfährt. Er benutzt Kay als Refugium, um den im Grunde alltäglichen Problemen der Ehe, den Launen seiner Frau während der Schwangerschaft und der nervigen Aufsicht seiner Eltern zu entfliehen.

Max Riemelt

Hervorragend sind die schauspielerischen Leistungen von Hanno Koffler und Max Riemelt, denen die Überzeugungskraft und die Lebensnähe dieser Geschichte im Grunde geschuldet ist. Im Vergleich dazu erscheinen einige Nebenfiguren etwas überzeichnet. Im großen Ganzen liefert Lacant aber ein sauber inszeniertes und durchdachtes wie aufrüttelndes Drama ab, das durchaus mit einer ordentliche Portion gesellschaftlichen Sprengstoffes aufwartet.


Nach dem Film gabs noch eine Frage/Antwort Session mit den Schauspielern und dem Regisseur - erst auf der Bühne und dann später im Foyer dann etwas persönlicher. Ich gebe dem Film 7,5 von 10 Punkte.

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